LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016
– 67 S 76/16
Mit Urteil vom 16.06.2016 hat das Landgericht Berlin einer
Mieterin eine Minderung wegen des Lärms von einer benachbarten Baustelle zugebilligt.
Der Ausgangsstreit:
Die Parteien sind über einen Wohnraummietvertrag miteinander verbunden. Auf dem
Nachbargrundstück wurden in einem Zeitraum von beinahe zwei Jahren eine
Tiefgarage sowie ein Neubau errichtet. Hierdurch war die Mieterin erheblichem
Baustellenlärm und anderen Emissionen ausgesetzt. Sie überwies die Miete zunächst
in voller Höhe. Mit der Klage verlangt sie die unter Vorbehalt zu viel
geleistete Miete für den Zeitraum von Juni 2014 bis März 2015 bei einer
Minderung von etwas mehr als 20% zurück.
Die Entscheidung:
Das Landgericht Berlin gibt der Mieterin Recht und verurteilt die Vermieterin
zur Rückzahlung der Miete. Gemäß § 536 Abs. 1 BGB ist der Mietzins gemindert,
wenn die Mietsache einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum
vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder mindert. Ein derartiger Mangel ist
gegeben, wenn der tatsächliche Zustand der Mietsache vom mietvertraglich
vorausgesetzten Zustand abweicht. Diese Voraussetzung war erfüllt. Durch die
Errichtung einer Tiefgarage und eines Neubaus auf dem Nachbargrundstück war die
Wohnung Lärm und Staub von der Baustelle ausgesetzt. Dies ist eine erhebliche
Abweichung von der vertraglich vereinbarten Beschaffenheit der Mietsache. Auch ohne
ausdrückliche vertragliche Abrede sollen die Parteien konkludent vereinbart
haben, dass die Mietsache dem üblichen Mindeststandard vergleichbarer Räume entspricht
und dem Mieter ein zeitgemäßes Wohnen ermöglicht, so das Landgericht. Da die
weit überwiegende Mehrzahl von Mietwohnungen keinem Baulärm ausgesetzt ist,
seien diese üblichen Standards nicht eingehalten. Die Tatsache, dass schon bei
Mietbeginn auf dem Nachbargrundstück eine Baulücke vorhanden war, führe auch
nicht automatisch dazu, dass die Parteien im Falle der Bebauung ein Minderungsrecht
konkludent ausgeschlossen hätten. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
29.04.2015 – VIII ZR 197/14 – sei nicht einschlägig. Mit der
Entscheidung hatte der Bundesgerichtshof Mietern, die durch Lärmimmissionen von
einem nachträglich errichteten Bolzplatz gestört wurden, eine Minderung der
Miete verwehrt (in beiden Fällen geht es also um nachträgliche Einwirkungen auf
die Mietsache von außen). Das Urteil sei bereits nicht einschlägig, da der
Bundesgerichtshof über eine dauerhafte und nicht über eine bloß vorübergehende Umfeldveränderung
geurteilt habe. Eine ergänzende Vertragsauslegung scheitere auch daran, dass
der Vertrag auf verschiedene Weisen ergänzt werden könnte, ohne dass
nachvollziehbar wäre, für welche Ergänzung die Parteien sich entschieden
hätten. Im Übrigen läge das Risiko eines Umfeldmangels nach der gesetzlichen
Wertung bei dem Vermieter, der deshalb eine Minderung hinzunehmen habe.
Letztlich scheitere das Recht zur Minderung nicht daran, dass der Mieter
vorsätzlich Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Mangels bei
Vertragsschluss gehabt habe. Die Baulücke hätte auch als absichtsvolle
städtebauliche Planung verstanden werden können.
Praxistipp:
Eigentlich war man davon ausgegangen, dass mit der „Bolzplatzentscheidung“ des
Bundesgerichtshofs der Streit der Instanzgerichte zum Recht des Mieters zur
Minderung bei Baustellen Dritter abschließend entschieden wurde. Bis zur
Entscheidung des Bundesgerichtshofs bestand Streit zwischen den
Instanzgerichten, ob eine Baulücke dazu führt, dass ein Mieter von der zukünftigen
Bebauung Kenntnis hatte und deswegen sein Recht zur Minderung der Miete
verliert. Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs musste man davon
ausgehen, dass zukünftig Mieter nur dann mindern dürfen, wenn der Vermieter
Ansprüche gegen den Nachbarn durchsetzen kann. Aufgrund der Entscheidung der
67. Kammer des Landgerichts wird das Thema wieder neu aufgerollt. Es bleibt
abzuwarten, ob sich weitere Kammern des Landgerichts und andere Instanzgerichte
der Entscheidung anschließen. Die 67. Kammer selbst, ließ die Berufung zum
Bundesgerichtshof nicht zu.